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Gedanken zur Fehlerkultur

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Angaben zur Autorin

Überlegungen

 Die Schlagzahl, mit dem neues Wissen aus den Denkfabriken der Wissenschaft hervorgebracht wird, ist hoch. Zu hoch, als dass man als Einzelner den Überblick bewahren könnte.

Stattdessen nährt diese Unübersichtlichkeit der weltweiten Wissensbestände ein dumpfes Gefühl von Ohnmacht.

 Expertinnen und Experten sollen über eine Sachfrage entscheiden, aber ich, als kleine Frau, kann mir unmöglich ein Urteil anmassen.

 Doch nicht nur die unübersichtliche Flut von Wissen und der Ruf nach Experten verändern unseren Bezug und unseren Umgang mit Wissen.

Auch die Verführung durch die neuen Technologien mit denen wir immer stärker in Symbiose leben. Was uns gefällt, wird per Klick bestellt und soll so zeitnah wie möglich geliefert werden. Wir wollen nicht warten! Wir wollen es jetzt!

 Unwissenheit ist out

Wir wollen sofort in Erfahrung bringen, was wir nicht wissen: keine langatmigen Diskussionen mit verwirrenden Positionen, sondern kaltschnäuzig wird mit Google richtig gestellt, was zur Frage steht:

Das Zücken des smarten Telefons wiegt uns in der Illusion: die ersten zwei Sätze des Wikipedia-Eintrags gelesen - und die Welt verstanden.

 Wechselspiel Technik und Mensch

Im Umgang mit Technik wurde schon immer darauf verwiesen, dass nicht nur wir etwas mit dem technischen Objekt machen, sondern das technische Objekt auch etwas mit uns macht. Zum Beispiel macht uns die sofortige und immerwährende Verfügbarkeit von Information ungeduldig, sobald wir selber mit im Spiel und gefordert sind. Wenn wir nicht nach kurzer Zeit die Lösung eines Problems erkennen, wenn wir nicht gleich checken worum es geht, fühlen wir uns wie zweitklassige Exemplare einer überholten Gattung.

 Die Langsamkeit unseres Begreifens erscheint wie ein Fehler, eine Unzulänglichkeit des Systems; im Grunde genommen erwarten wir von uns sofortige Umsetzung und unmittelbares Können.

 Wie schön wäre es, einen Chip mit den begehrten Fähigkeiten in unser Hirn einpflanzen zu können: auf Knopfdruck Trigonometrie beherrschen, Kants Gesamtwerk speichern, Elektrotechnik verstehen oder was auch immer wir uns vor dem Schlafengehen zusammenträumen.

Wir vergessen dabei stets, dass Lernen einen Weg beinhaltet.

Und Wege in Angriff zu nehmen ist oft ein beschwerliches Unterfangen.

alter Weg - neuer Weg?

Auch das Wissen, das wir uns in Auseinandersetzung mit einer Materie aneignen, macht etwas mit uns. Es verändert unsere neurologische Konfiguration, es lässt uns neue Perspektiven einnehmen, es erschliesst uns ungeahnte Zugänge und sensibilisiert für neue Themen. Wissen in einem umfassenden Sinn ist nicht konsumfertig und abpackbar in kleine Becher, die ausgelöffelt oder Chips, die implantiert werden könnten. Es ist ein über Jahrhunderte gewachsenes kulturelles Erbe. Wir tun gut daran, uns gelegentlich in Erinnerung zu rufen, wie viel penible Auswertungsarbeit geleistet wurde und wie viele Forscherleben verstrichen sind, seit wir von Wissenschaft im heutigen Sinn sprechen können.

 Angesichts dieses, sagen wir 600-jährigen geschichtlichen Hintergrundes, erscheint es fast schon anmassend, über die eigene Begriffsstutzigkeit in Zorn zu geraten, wenn wir uns gerade einmal 10 Minuten einer Materie angenommen haben.

 Lernen heisst auch, sich mit dem Bestand der eigenen Kultur und ihren Wurzeln auseinanderzusetzen. Eine respektvolle Haltung gegenüber vergangenen geistigen und kulturellen Leistungen mag dazu beitragen, dass wir unser Unverständnis gelassener nehmen und mehr Geduld an den Tag legen, wenn wir uns wieder einmal in den Tiefen unserer Wissensbestände bewegen.



Autorin dieser Serie über die Fehlerkultur ist Miriam Vögele.