5. Teil Lernkultur: Lernen als sozialer Akt
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Nicht schon wieder eine Gruppenarbeit – so tönt es aus
einigen Mündern, wenn die Lehrperson das Teamwork ankündigt.
Viele arbeiten im Alleingang effizienter und erleben die sozialen Spielereien
und Rangeleien in der Gruppe als mühsam.
Betrachtet man diese Arbeitsform aus der Vogelperspektive und
unterlegt sie mit
etwas Theorie, findet man einige doch sehr plausible Argumente für
das Unterfangen.
Lew Wygotski, ein russischer Psychologe beschäftigte sich in
den 1920er Jahren mit dem Thema,
wie Lernen funktioniert, insbesondere bei Kindern und
Jugendlichen. Wygotski verstand Lernen
als einen zutiefst sozialen Akt. Was meinte er
damit?
Wygotski war der Auffassung, dass sich durch die
Interaktion mit anderen Menschen
höhere geistige Prozesse ausbilden. Wenn wir mit anderen,
insbesondere kenntnis-reicheren
Menschen Umgang pflegen, erweitert sich unser
geistiges Repertoire und unsere
kognitiven Funktionen.
Im sozialen Austausch treten neue Denkstrategien zu
Tage, die
dann, in einem zweiten Schritt, vom Lernenden verinnerlicht
(internalisiert) werden. Wie
- ausgeklügelt wir denken,
- wie raffiniert wir Probleme lösen und
- wie kreativ wir an Aufgaben
herangehen hängt also mitunter davon ab, ob wir zu gegebener
Zeit die Möglichkeit hatten, von
erfahrenen und anregenden Sparring-Partnern (Eltern,
Lehrpersonen, Mitschülerinnen und
Mitschüler usw.) zu lernen.
Wygotski wurde durch diese Theorie in Fachkreisen berühmt,
weil für ihn der soziale Austausch nicht nur ein Einflussfaktor
unter vielen ist, der unsere Entwicklung beeinflusst,
sondern als Ursprung für höhere geistige
Prozesse verstanden wird.
Zwar kann man dieser Auffassung einiges entgegenhalten,
beispielsweise dass Intelligenz eine
genetische Komponente hat. Aber Wygotskis Sichtweise vermag zu
erklären, wieso es ein
beliebtes Arbeitsinstrument ist, Themenfelder in
Gruppen zu erarbeiten:
Jeder bringt unterschiedliches Vorwissen und Problemlöse-Fähigkeiten in
die Diskussion mit. Im gemeinsamen Austausch bietet sich nicht nur
die Möglichkeit, Inhalte und Informationen effizient
auszutauschen, sondern auch das Potential, sich neue
Denkstrategien und
Lösungswege anzueignen.
Autorin dieser Serie über die Fehlerkultur ist Miriam Vögele.